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POLITiS Studienkreis

Wirtschafts- und Sozialpolitik

Staaten direkt finanzieren – Vermögende in Mitfinanzierung einbeziehen

Corona-Krisenlasten gerecht auf alle Schultern verteilen

Italien wird für die beiden Hilfspakete Cura Italia mindestens 50 Mrd. Euro an Soforthilfen an Unternehmen, Selbstständige, Familien und Arbeitslose ausschütten, und über diesen Hebel ein Vielfaches davon – die Rede ist von 750 Mrd Euro – an staatlich abgesicherter Liquidität in die Wirtschaft pumpen. Mittelfristig wird die Krisenbewältigung den Staat noch deutlich mehr kosten. Schon jetzt ist absehbar, dass die italienische Staatsverschuldung von heute 136% auf gut 150% des BIP ansteigen wird. Wer soll die Corona-Rechnung bezahlen?
Neuverschuldung ist der schnellste, einfachste und zu Notzeiten unumgängliche Weg der Staatsfinanzierung. Die zusätzlichen Staatsschulden müssen irgendwann wieder abgebaut werden, denn wenn die Zinsen später wieder steigen, belasten sie Haushalt und Bürger enorm. Diese Lasten sind nur scheinbar verteilungspolitisch neutral. Die Zinsen bereichern einerseits vor allem Großinvestoren im In- und Ausland, kaum die Kleinsparer, noch weniger die Nicht-Vermögenden. Auf der anderen Seite entziehen Zinsendienst und Tilgung dem Staat Ressourcen für dringend benötigte Infrastrukturen, für Pflege, Gesundheit und Sozialleistungen. Bleibt der Staat zu hoch verschuldet, entstehen nicht nur neue Risiken auf den Finanzmärkten, sondern drohen auch Einschnitte in die öffentliche Daseinsvorsorge.
Zum Glück ist Italien im Eurosystem, was der EZB die Möglichkeit gibt, diese Neuverschuldung mitzutragen. Das tut die EZB weiterhin massiv, indem sie die Staatsanleihen der Mitgliedsländer aufkauft, die Zinsen darauf bei fast Null und damit hochverschuldete Staaten über Wasser hält. Nach Kriegen und Naturkatastrophen haben Notenbanken immer so gehandelt. Danach begann die Phase der Erholung und der Schuldenstand konnte wieder zurückgefahren werden. Das wird auch in der Post-Corona-Zeit anstehen.
Nun haben es die südlichen Euroländer nicht geschafft, „Corona-Bonds“ durchzusetzen. Die Vergemeinschaftung der Schulden ist in der EU noch nicht mehrheitsfähig. Nicht so tragisch, denn direkte Staatsfinanzierung durch die EZB ist ohnehin den Eurobonds vorzuziehen. Heute wird das geltende Verbot der Staatsfinanzierung elegant umgangen, indem die EZB am Sekundärmarkt den Banken und Fonds Schatzpapiere abkauft. Kostengünstiger wäre es, wenn die EZB direkt die Staatsanleihen übernähme, wie es z.B. die US-Notenbank tut. Dadurch würden die Staatshilfen den profitorientierten spekulativen Finanzmärkten entzogen. Dies hätte bei einer derartigen Krise nicht nur proportional zur Wirtschaftsleistung der Euroländer zu erfolgen, sondern auch gemäß den besonderen Lasten, die der jeweilige Staat wegen Corona zu tragen hat.
Wie werden die neuen Schulden mittelfristig abgebaut? Mit einer kaum mehr wachsenden Wirtschaft kann Italien 150% Schulden aufs BIP nicht so schnell zurückfahren. In einer solchen Krise ist Solidarität gefragt, sowohl unter den EU-Staaten als auch unter den Bürgern. Der jetzige Aufruf der Regierung in Rom, für das Gesundheitssystem zu spenden, wird es kaum richten. Jene, die mehr zu den Krisenkosten beitragen können, müssen jetzt diese Chance erhalten, und zwar mit einer Vermögensabgabe. Mario Monti hatte 2011 die GIS eingeführt, inzwischen eine Selbstverständlichkeit. Die EU könnte flächendeckend die Transaktionssteuer auf den Kapitalmärkten einführen. Zusätzlich müssen Länder wie Italien an Vermögenssteuern denken. Die deutsche Lastenausgleichsabgabe nach dem 2. Weltkrieg hat gezeigt, dass dies gut funktioniert: eine relativ gleichmäßig auf die Familien verteilte Vermögensabgabe, die sich mehr oder weniger aus den Kapitalerträgen finanzierte. Heute wäre eine Vermögensabgabe für die Reichsten nur ein kleines Korrektiv zur ständig wachsenden Konzentration der Vermögensverteilung in den letzten Jahrzehnten. Immerhin halten 630.000 Haushalte in Italien mehr als 500.000 Euro an Finanzvermögen. In Südtirol haben 11% der Haushalte über 800.000 Euro an Gesamtvermögen (vgl. Atz/Haller/Pallaver, Ethnische Differenzierung und soziale Schichtung, 2016, 211). Trotz hoher Vermögenskonzentration hat Italien eine ziemlich tiefe Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung. In Südtirol ist die Vermögenskonzentration zwar etwas geringer ausgeprägt, aber deutlich höher als in den nördlichen Nachbarregionen. Auch Südtirol kann gemäß Autonomiestatut in Übereinstimmung mit dem staatlichen Steuersystem zusätzliche Abgaben einführen, braucht dies aber nicht im Unterschied zum Staat mit seinen bald 2500 Mrd. Euro Schulden.
Ein einmaliger Lastenausgleich der Reichsten – so wie ihn ATTAC für Österreichs Millionäre fordert – ist angemessen: ein fünf bis zehn Jahre geltende jährliche Solidaritätsabgabe, die nur Millionäre träfe, sollte am besten EU-weit eingeführt werden, um die enormen Ausgaben für die Krisenbewältigung gegenzufinanzieren. Der Corona-Lastenausgleich flösse nicht nur in die Krisenbewältigung, sondern auch in Investitionen in Bildung, Pflege, Gesundheit und nachhaltigen Klimaschutz. Jene, die es sich leisten könnten, würden einen gerechteren Anteil zur Bewältigung der Krise beitragen. Prof. Gottfried Tappeiner hat in der FF 14-2020 gemeint, „dass manches, was bisher politisch heilig war, jetzt über Bord geschmissen wird“. Direkte Staatsfinanzierung und Vermögensabgabe mögen zwar nicht heilig oder tabu sein, politisch beliebt sind sie sicher nicht. In besonderen historischen Notlagen Situationen können sie aber ökonomisch Sinn machen.
SALTO, 11.4.2020

Transparenz

Warum hat Südtirol keinen Subventionsbericht?

Googelt man „Subventionen des Landes Südtirol“, erscheint nicht. Einen offiziellen Bericht des Landes über die jährlich ausgezahlten Subventionen gibt es nicht. Warum?
Der Umfang der jährlich vom Land und den Gemeinden an die gewerbliche Wirtschaft ausgezahlten Beiträge (Subventionen) ist beträchtlich. 2015 flossen immerhin 19,4% der Ausgaben aller in Südtirol tätigen öffentlichen Körperschaften in die Wirtschaftsförderung. Laut dem Statistischen Jahrbuch 2020 des ASTAT wurden 2015 174,3 Mio. an Kapitalbeiträgen und 173,5 Mio. Euro an laufenden Ausgaben an Unternehmen ausgezahlt. Nimmt man Land und Gemeinden zusammen, machte die Wirtschaftsförderung 2015 sogar 24,7% der Gesamtausgaben aus (1.787 Mio Euro). Davon ging der Löwenanteil an die Energiewirtschaft (1.261 Mio Euro, vor allem durch ALPERIA) und an die Landwirtschaft mit 166 Mio. Die „sonstige Wirtschaftsförderung“ belief sich auf 214 Mio. Euro. Die Kapitalzuweisungen des „erweiterten öffentlichen Sektors“ an die Unternehmen betrugen laut ASTAT 2016 519,9 Mio. Euro, 2017 383 Mio und 2018 434,2 Mio Euro. Diese Zuweisungen werden für 2020 und vor allem für 2021 aufgrund der coronabedingten Sondermaßnahmen stark ansteigen. Die quantitative Bedeutung der Subventionen steht damit außer Zweifel. Damit steigt die Notwendigkeit, ihre Wirksamkeit als wirtschaftspolitisches Steuerungsinstrument genauer zu prüfen, und aus der Sicht der Bürgerinnen und Steuerzahler die Transparenz der Mittelverwendung zu wahren.
Trotz des enormen Gewichts der jährlich an private Unternehmer fließenden öffentlichen Gelder, gibt es Südtirol keinen analytischen Subventionsbericht für die Politik und die Öffentlichkeit. Ein solcher gehört zum Standard in verschiedenen Bundesländern Deutschlands und Österreichs, wie etwa das Beispiel des Landes Salzburg zeigt. Die Schweiz hat die Subventionsberichterstattung mit einem eigenen Gesetz geregelt. Doch die Landesregierung fühlt sich – abgesehen von den staatlichen vorgeschriebenen Transparenzpflichten bei der Veröffentlichung der Subventionsempfänger (eine lange und wenig aussagekräftige Liste von Firmen) – zu keiner echten, vertieften Berichterstattung darüber verpflichtet:
 wieviel Finanzmittel an welche Branche und Untergruppe geflossen sind;
 welche Wirkungen gemessen an den deklarierten Zielen der Beitragsvergabe diese Subventionsvergabe gezeitigt haben;
 wie hoch der Mitnahmeeffekt dieser Subventionen war, inwiefern die Investitionen nicht ohnehin getätigt worden wären;
 ob die gesetzlichen Auflagen und Kriterien eingehalten worden sind und ob schädliche bzw. kontraproduktive Nebenwirkungen zu verzeichnen sind.

Besondere Aktualität erhält eine moderne Subventionsberichterstattung durch die Energiewende und den Klimaschutz. Wenn Subventionen nicht nur Unternehmern Vorteile verschaffen sollen, sondern dem Gemeinwohl und öffentlichen Interesse dienen sollen, müsste geprüft werden, ob dieser meist gesetzlich festgelegte Zweck, etwa Energieeinsparung, Umwelt- und Landschaftsschutz, tatsächlich erreicht worden ist. Oder haben die Beiträge an die Privaten gar Naturzerstörung, Flächenverbrauch und Energieverbrauch befördert, wie es oft in Landwirtschaft geschieht? Der immer dringlichere Klimaschutz wirft neue Fragen auf: welche Wirkungen haben die Subventionen des Landes auf die Emissionen von Treibhausgasen und auf den Verbrauch fossiler Brennstoffe? Gerade weil Subventionen an die gewerbliche Wirtschaft in Südtirol so wichtig sind, muss viel genauer hingeschaut werden, was sie überhaupt bewirken. Wenn das Land z.B. neue Aufstiegsanlagen, Skipisten, Beschneiungsanlagen und Speicherseen finanziell fördert, wie geht das mit dem proklamierten Klimaschutz zusammen?
Das Fehlen eines regelmäßigen Subventionsberichtes hat gravierende Folgen, weil dadurch der Öffentlichkeit, den politischen Vertretern und den Forschungseinrichtungen die Möglichkeit genommen wird, zu prüfen, ob diese Mittel tatsächlich ihre postulierten Ziele erreichen. Eine echte Subventionsberichterstattung ist überfällig.
SALTO, 13.3.2021



Bedingungsloses Grundeinkommen

BGE: ein fragwürdiges Rezept

Ist die Coronakrise eine günstige Gelegenheit für die Einführung des BGE? Hier drei einer ganzen Reihe grundsätzlicher Bedenken.

Dabei beziehen sich diese Einwände gar nicht auf die Finanzierbarkeit des BGE, die ab 2020 nach dem jetzt eingeleiteten Sprung der Staatsverschuldung Italiens von 135% auf mindestens 155% des BIP noch weniger gegeben ist. Der erste Einwand betrifft die Löhne. Laut BGE-Befürworter würden die Löhne steigen, weil Geringverdiener mit schlechten Jobs dann nur mehr für höhere Vergütung überhaupt noch arbeiten. Ein Fehlschluss, denn zum einen würden durch die Einführung des BGE die gesamte Wirtschaftsleistung und Kaufkraft sinken, und damit gäbe es gar keinen Spielraum für höhere Löhne. Zum anderen würden laut Umfragen nach Einführung des BGE 7% der Erwerbstätigen gar nicht mehr berufstätig sein, 29% ihre gearbeiteten Stunden um ein Drittel kürzen. Die Entlastung der Menschen vom Arbeitszwang ist auch ein Hauptziel des BGE. Dadurch sinkt aber auch das BIP und der zu verteilende Wohlstand, nicht berührt würde die ungleiche Vermögensverteilung. Keinen Spielraum gäbe es in diesem Szenario für deutliche Lohnerhöhungen für Arbeiten, deren Wert deutlich zu gering eingestuft ist (z.B. die Pflegeberufe, als Erkenntnis der Corona-Krise, und viele andere heute zu gering geschätzte Tätigkeiten).
Ein weiterer bisher kaum beachteter Einwand ist demografischer Natur und betrifft vor allem Italien mit seiner stark alternden Gesellschaft. Bis 2035 wird die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter um 5 Millionen abnehmen: die geburtenstarken Jahrgänge gehen in Rente und werden vermehrt pflegebedürftig. Rechnerisch wird dieser Rückgang durch Einwanderer ausgeglichen. Doch bei einer weiter restriktiven Migrationspolitik wird laut ISTAT-Prognosen ab 2020 sowohl die Zahl der Einwohner wie der Erwerbsfähigen sinken. Nun führt ein BGE naturgemäß zum Rückgang des Arbeitsangebots (der Arbeitnehmer), in Italien noch stärker, denn hier liegen die Durchschnittslöhne viel tiefer, vor allem in der Schattenwirtschaft und bei den gering Qualifizierten. Ein BGE in Italien befördert erstere als unversteuertes Zusatzeinkommen und lässt viele Niedriglohnbezieher ganz aussteigen, weil es sich nicht mehr lohnt. Wer soll dann die Niedriglohnjobs übernehmen? Wer soll den dringenden Bedarf an Pflege- und Gesundheitspersonal in einer alternden Gesellschaft decken? Oder die saisonalen Jobs in Landwirtschaft und Tourismus?
Migranten, werden BGE-Befürworter antworten, und damit zum dritten Einwand. Schon heute sind hunderttausende Pflegekräfte aus Osteuropa in Italien unentbehrlich. Diese Quelle an Arbeitskräften hat aber ihre Grenzen. Erstens wird das Migrationsangebot aus Europa zunehmend sinken, weil auch in den meisten Auswanderungsländern Osteuropas Bevölkerung und Erwerbsfähige zurückgehen (vgl. Thomas Benedikter, 100 Fragen zur Migration, RAETIA, 2020, 75-77). An ihre Stelle könnten Migrantinnen aus dem globalen Süden treten. Doch ist Italien bereit, Millionen von Menschen aus Afrika und Südasien aufzunehmen? Weiters: als reguläre Einwanderer hätten auch Migranten das Recht auf den Bezug des BGE, EU-Bürgerinnen schon nach 6 Monaten Aufenthalt im Land. Alles andere verbietet das EU-Diskriminierungsverbot. BGE-Befürworter schlagen deshalb vor, das Grundeinkommen auf Staatsbürger zu beschränken. Das wäre nicht nur mit dem EU-Recht unvereinbar, sondern würde zu einer unhaltbaren Zwei- oder Dreiklassengesellschaft führen, wie man sie heute aus den Ölscheichtümern kennt.
Sepp Kusstatscher wendet sich mit seinem Aufruf zur Einführung eines BGE an LH Kompatscher und knüpft an das in der Regierungsvereinbarung der Landesregierung 2018-2023 enthaltene Vorhaben an, alle Leistungen der Grundsicherung zusammenzuführen. Man sollte einfach von unnötigen Bedingungen absehen, dann habe man das Grundeinkommen. Damit würde nicht nur öffentliches Geld verschwendet, sondern eigentlich ist er bei der falschen Adresse: eine kleine Region wie Südtirol kann nicht bei garantiertem Recht auf Freizügigkeit in der gesamten EU im Alleingang ein BGE einführen. Alle drei oben genannten Einwände gelten auch für Südtirol. Selbst innerhalb der EU mit seinem beträchtlichen Gefälle zwischen Ost und West, Nord und Süd bei Löhnen, Renten und Sozialleistungen wäre ein BGE auf einzelstaatlicher Ebene problematisch, während die EU – nach dem Billionenausgaben für die Bewältigung der Coronakrise und dem Green New Deal für den Klimaschutz – dafür weder die Zuständigkeit noch das Geld hätte.
Das BGE ist Thema eines kostenlosen offenen Webinars der URANIA Meran am kommenden 9. Mai, allerdings nur mit Befürwortern des Bedingungslosen Grundeinkommens.

SALTO, 7.5.2020

Kritik am BGE – Teil 2

Geld vom Staat: warum bedingungslos?

Die hohe Staatsverschuldung, die demografische Entwicklung, die fehlende Akzeptanz starker Migrationsbewegungen waren Einwände zum Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE). Hier weitere drei Einwände grundsätzlicher Natur.

Der erste betrifft die soziale Gerechtigkeit. Jedem Bürger monatlich 1000 Euro zu überweisen, mag auf den ersten Blick verteilungsgerecht zu sein. Doch ist zwischen Bedarfs- und Leistungs-gerechtigkeit zu unterscheiden. Geht man vom heutigen System der Sozialhilfe und Grundsicherung aus, brauchen mindestens zwei Drittel der Haushalte keine solche Unterstützung. Nach Umfragen würden 64% der Erwerbstätigen bei einem BGE im selben Umfang weiterarbeiten wie bisher. Das heißt: sowohl für die Vermögenden, als auch für die im gleichen Umfang Erwerbstätigen wäre das BGE ein willkommenes, aber nicht benötigtes Geschenk vom Staat. „Das BGE ist in diesem Sinn eben nicht egalitär, sondern blind gegenüber den unterschiedlichen Bedürfnissen jedes Einzelnen,“ schreibt Marcel Fratzscher. Chancengerecht ist das BGE auch nicht, weil junge Menschen aus einkommensschwachen Familien mehr Unterstützung benötigen als ein bloßes Grundeinkommen. Doch bekanntlich würden bei der Einführung eines BGE alle übrigen Sozialleistungen gestrichen, weil diese eine amtliche Bedarfsprüfung und damit wieder Bürokratie auf den Plan rufen würden.
Der zweite Einwand betrifft die Bedingungslosigkeit. Heute ist eine aufwändige staatliche Bürokratie am Werk, um Bedarf und Zielgenauigkeit der Sozialleistungen festzustellen. Ein starker Sozialstaat verteilt um, was auf der Steuerseite gar nicht so optimal gelingt. Nun sichert das BGE Geld vom Staat ohne Bedarfsprüfung und Gegenleistung. Das BGE muss aber durch Steuern finanziert werden, die im Wesentlichen aus dem Konsum und Umsatz stammen sollen. Ausreichend Umsatzsteueraufkommen kann nicht generiert werden, wenn die Kaufkraft fehlt, die erarbeitet werden muss. Klar: das BGE will die Menschen vom Lohnarbeitszwang befreien. Doch im Gegenzug zum Grundeinkommen braucht der Staat nicht unbedingt Lohnarbeit verlangen, sehr wohl aber einen „Freiwilligeneinsatz“. Die Gesellschaft hat in sozialen, ökologischen und bürgerschaftlichem Bereich einen gewaltigen Bedarf, gerade in einer alternden Gesellschaft vor der Bewältigung des Klimawandels. Warum sollte eine BGE-Empfängerin dem Gemeinwesen für die Unterstützung nicht etwas zurückgeben?
Der dritte Einwand betrifft den Stellenwert der Arbeit für die Sinnstiftung des Einzelnen. Das BGE solle die Menschen nicht mehr fordern, also dem Erwerbszwang unterwerfen, so seine Befürworter, sondern nur noch fördern. So könne jeder nach seinen Lebensentwürfen leben, existenziell gesichert unabhängig von seinem Lebensmodell. Laut Glücksforschung hängt Zufriedenheit im Leben nur zum geringen Teil vom Einkommen ab. „Genauso wichtig ist es,“ meint Marcel Fratzscher, „Teil der Gemeinschaft zu sein, Anerkennung zu erhalten und Verantwortung zu übernehmen.“ Ein BGE fordert die Menschen nicht mehr monetär, es motiviert aber auch nicht mehr über eine Tätigkeit im gesellschaftlichen Arbeitszusammenhang zu wirken, also über eine Tätigkeit, die vom Markt (vom Verbraucher) oder vom Staat (soziale öffentliche Dienstleistungen aller Art) nachgefragt wird. Überdies wäre der Staat der Verantwortung entbunden, aktiv für eine humanere Gestaltung der Arbeitswelt zu sorgen. Wer keine Erwerbsarbeit akzeptiere, sei ja schließlich versorgt. Es sinken der Leistungszwang und die Zeit für Erwerbsarbeit, aber auch die positive Forderung des Einzelnen durch sinnstiftende Arbeit. Ob das zu mehr Lebenszufriedenheit führt, ist mehr als fraglich.
Weitere Einwände zum BGE würden hier zu weit führen. Wichtig bleibt sein Anstoß zum grundlegenden Überdenken des heutigen Sozial- und Steuerstaats, von Lohnarbeit und Leistungsgesellschaft. Alternative Ansätze für eine Reform sind dabei auch das solidarische Grundeinkommen und der Lebenschancenkredit. (SALTO, 14.5.2020)


Alternative zum BGE

Der Lebenschancenkredit

Ein an Bedingungen geknüpfter Kredit, um bestimmte zeitlich intensive Anforderungen im Leben finanziell abzudecken, wäre eine finanzierbare Alternative zum bedingungslosen Grundeinkommen.

Geschenktes Geld vom Staat ohne Bedürftigkeitskriterien, das zum Großteil in den Konsum fließt und zu 80% an Menschen geht, die nach wie vor Erwerbsarbeit im selben Ausmaß leisten, unabhängig von der Vermögenslage und das zu Zeiten demografischer Alterung der Gesellschaft, wo potenziell mehr Menschen erwerbstätig sein könnten. Nein, das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) hat zu viele Schwächen, um konkret auf die politische Tagesordnung zu kommen, schon gar nicht in einem überschuldeten Staat wie Italien.
Viel interessanter sind Rechte, die Lebenschancen eröffnen und doch auch auf Arbeitsleistung basieren, wie Freistellungsrechte für Bildung, Pflege, Erziehung, Gemeinwesenarbeit. Jeder könnte solche Rechte in Anspruch nehmen. Sie würden wie Versicherungszeiten im Verlauf der Erwerbsarbeitszeit akkumuliert als eine Art universelles Anrechtsguthaben jedes Bürgers. Hinsichtlich der Nutzung dieses Guthabens sollten die Menschen möglichst viel Entscheidungsspielraum haben, aber eben mit Bedingungen.
Dieses Konzept „sozialer Ziehungsrechte“ kann als viertes Prinzip neben dem Versicherungsprinzip (Leistungsanspruch durch Beiträge), dem Versorgungsprinzip (Leistungsanspruch aufgrund von Bedürftigkeit oder eines anerkannten Bedarfs) und universalistischen Leistungen (bedingungslose Leistungen an alle, wie in Italien der nationale Gesundheitsdienst oder das öffentliche Bildungssystem) verstanden werden. Es kann aber auch mit anderen Prinzipien (vor allem dem Versorgungsprinzip) kombiniert werden.
Der Lebenschancenkredit kann mit der Idee des Sozialerbes ergänz werden, das wie das BGE auf der Vorstellung einer „Teilhabegesellschaft“ gründet: alle Menschen gleich welcher Herkunft und Vermögensausstattung sollen als Anteilseigner des gesellschaftlichen Wohlstands gesehen werden. Das Sozialerbe ist eine Art Startkapital, das jeder mit Vollendung des 18. Lebensjahrs erhält und in seine Zukunft frei investieren kann, allerdings nicht für den bloßen Konsum verausgaben darf. Finanziert würde es über eine erhöhte Erbschafts- und Vermögenssteuer. Jeder Begünstigte müsste später über die Vermögenssteuer wieder einen Teil in den Sozialerbe-Fonds zurückzahlen, wie in einen Rotationsfonds, und am Ende einen Teil seiner Erbschaftssteuer. Mehr Verteilungsgerechtigkeit beim Vermögen, ein Konzept, für welches auch Christian Felber plädiert.
Der Lebenschancenkredit dürfte im Unterschied zum BGE nicht konsumiert werden, sondern müsste für Bildung, Pflege und Erziehungszeiten und zur Kompensation anderer sozialer Risiken eingesetzt werden. Er sollte möglichst für alle gleich hoch sein, z.B. 50.000-60.000 Euro, und wäre allenfalls an die Vermögenslage der Eltern geknüpft. Mit einem solchen Kredit behalten die Bezieher freien Entscheidungsspielraum. Der Zeitpunkt und die Lebenslage für die Nutzung können frei bestimmt werden.
Der Lebenschancenkredit würde es z.B. erlauben, Familien und Beruf besser unter einen Hut zu bekommen; er würde Teilzeit erlauben, wenn ein Elternteil pflegebedürftig wird oder eine intensive Phase der Weiterbildung ansteht. Der Kredit könnte auch zur Finanzierung eines Sabbatjahrs eingesetzt werden. Die Grundidee dahinter ist, dass aus einem solchen individuellen Guthaben tatsächlich mehr gesellschaftlicher Wohlstand erwachsen soll, nicht bloß ein für den Konsum frei verfügbares individuelles Zusatzeinkommen wie beim BGE. Aus der Nutzung dieses Guthabens soll der Gesellschaft ein Nutzen entstehen, weil die Gesellschaft auch dafür aufkommt. Typischerweise bietet der Lebenschancenkredit einen Anreiz für mehr Bildung und Weiterbildung. Menschen können dann das lernen, was die Gesellschaft braucht und die Gesellschaft kann das intellektuelle Potenzial zum Nutzen aller besser ausschöpfen.
Der zweite Bereich neben den Anreizen für lebenslanges Lernen wären die sozialen Risiken und mehr frei Zeit. Heute stehen viele Menschen in der Mitte des Lebens im Stress, alles gleichzeitig schaffen zu wollen. Die starren und immer nicht zu hohen Arbeitszeiten versetzen jene unter Druck, die am meisten unbezahlte Fürsorgearbeit leisten. Die heute gesetzlich gewährten Auszeiten für Erziehung, Bildung und Pflege sind zu kurz, um z.B. von Männern breiter genutzt zu werden. Der Lebenschancenkredit erlaubt hier wiederum die Finanzierung längerer befristeter Auszeiten, immer geknüpft an Bedingungen. Da man mit einem solchen Modell auch kleinformatig anfangen könnte, ließe es sich auch besser finanzieren. Weil kein enorm hoher Ausgabenbedarf wie beim BGE entsteht und auch kein größeres Sozialleistungsgefälle gegenüber anderen Regionen, könnte es auch auf Landesebene eingeführt werden.
SALTO, 9.6.2020


Einkommensverteilung

Mit 137 Millionen die Armut beseitigen?

In der Haushaltsdebatte im Landtag wurde es mehrfach angemahnt: das Land unternimmt wenig gegen die Armut, der Landeshaushalt korrigiert die Ungleichverteilung weit weniger als es bei diesem Ausgabenvolumen möglich wäre. Das ASTAT liefert mit seiner jüngsten Studie zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen in Südtirol den Beweis dafür.
Bei der Wirtschaftsleistung, dem BIP pro Kopf, hat Südtirol Österreich und Deutschland schon überflügelt, doch gleichzeitig ist die Einkommensverteilung ungleicher geworden. Südtirol liegt mit einem Gini-Koeffizienten (Maß der Ungleichheit) von 0,313 über dem Vergleichswert Deutschlands, Österreichs, der Schweiz und dem EU-Durchschnitt. D.h. diese Länder haben eine geringere Einkommenskonzentration, während Südtirol bei der Ungleichverteilung näher bei Italien und Griechenland liegt.



An die reichsten 20% der Haushalte in Südtirol geht 39,4% des Gesamteinkommens, die unteren 60% beziehen eben 38,3%. Seit Beginn der Wirtschaftskrise 2008 hat das Wirtschaftswachstum stagniert, das verfügbare Durchschnittseinkommen hat infolge höherer Steuern sogar abgenommen, die Einkommenskonzentration aber zugenommen.
Noch stärker gewachsen ist die Konzentration beim Vermögen. Dazu erfasst das ASTAT in seiner neuen Studie das Immobilienvermögen und die jährliche Ersparnisbildung. 65,8% der Südtiroler halten Immobilien, vor allem das Eigenheim, doch nur 7,5% der Haushalte besitzen gewerbliche Immobilien. Das ASTAT verzichtet allerdings in seiner Studie auf die Erfassung von zwei wesentlichen Teilen des Vermögens der gut 212.000 Familien in Südtirol: das Finanzvermögen und das Betriebskapital. Dabei geht es beim Finanzvermögen nicht um Peanuts: laut Banca d’Italia (Bericht Nr. 26 vom November 2015) halten allein die privaten Haushalte bei den Südtiroler Banken fast 18 Milliarden Euro an Einlagen und Wertpapieren. In welcher Verteilung ist unbekannt. Schließlich ermittelt das ASTAT auch nicht den Wert des Immobilienvermögens und seine Verteilung, was technisch über die Katasterämter durchaus möglich wäre. So lässt sich über die Vermögensverteilung in Südtirol auch kein klares Bild gewinnen.
Wie greift nun das Land ein, um die Ungleichverteilung beim Einkommen zu korrigieren? Eher marginal. Zwar sind den Bereichen Gesundheit, Soziales und Bildung gut 60% der Ausgaben des Landeshaushalts 2016 vorbehalten, doch die direkten Sozialtransfers liegen eher gering: 2013 beliefen sie sich auf knapp 249 Mio Euro, gleich 3,2% des Gesamteinkommens der Haushalte. Der Anteil der Haushalte, die öffentliche Beiträge bezogen haben, ist von 25,5% (2008) auf 23,8% (2013) gesunken. Diese Beiträge und die Einkommensbesteuerung sorgen zwar für ein Mindestmaß an Umverteilung, aber wiederum nicht genug, um die Armutsgefährdung deutlicher zu senken.
Der Anteil der armutsgefährdeten Haushalte liegt seit 2003 stabil bei 16,6%. Somit müssen 35.000 Haushalte mit einem Äquivalenzeinkommen von maximal 11.880 Euro über die Runden kommen. Ohne Sozialtransfers wären aber 17.125 Haushalte zusätzlich armutsgefährdet, rechnet das ASTAT vor. Auch in dieser Hinsicht schneidet Südtirol schlechter ab als Österreich, Deutschland und die Schweiz. Das ASTAT rechnet vor, wieviel es hypothetisch kosten würde, alle armutsgefährdeten Haushalte auf die Schwelle von 11.880 Euro Äquivalenzeinkommen im Jahr zu heben: nicht mehr als 137 Millionen Euro an Sozialtransfers, ein Aufwand von 0,7% des Südtiroler BIPs von 2013 oder 2,5% des Landeshaushalts 2016. Die Gegenfinanzierung wäre durchaus zu schaffen: zum einen durch Reduzierung der überzogenen IRAP-Entlastung der Unternehmen (derzeit - 75 Mio Euro im Jahr an entgangenen Einnahmen im Landeshaushalt) und durch Kürzung des immer noch hohen Subventionsniveaus der gewerblichen Wirtschaft.

SALTO, 21.12.2015




Mindestsicherung

Garantiertes Mindesteinkommen oder Bürgergeld?

Das vom M5S durchgesetzte Mindesteinkommen ist gerechtfertigt, hat aber einen systemischen Mangel: es entspricht nicht einem echten Bürgergeld.

Mit dem Haushaltsgesetz 2019 erhält Italien auch das neue Mindesteinkommen (reddito di cittadinanza). Es geht um ein steuerfinanziertes, an Bedingungen geknüpftes Grundeinkommen, das einigen Millionen Arbeitslosen und Armutsbetroffenen ein menschenwürdigeres Leben ermöglichen soll. Auch in Südtirol könnten laut SWZ rund 5.000 Personen in den Genuss dieser Sozialleistung kommen.
Der Pro-Kopf-Betrag wird dabei im Schnitt geringer sein als die offiziell immer genannten 780 Euro im Monat. Wenn nur die 1,8 Millionen absolut Armen Italiens diesen Beitrag erhalten, dann können mit den im Haushalt zweckgebundenen Mitteln nur 4.444 Euro pro Kopf gezahlt werden, also 370 Euro monatlich. Dieses Mindesteinkommen wird nämlich an klare Kriterien geknüpft sein. 780 Euro erhält ein Bedürftiger, der zur Miete wohnt. Maximal 500 hingegen jene, die über eine Eigentumswohnung verfügen. Die Bezieher müssen wöchentlich für 8 Stunden gemeinnützige Tätigkeiten bereitstehen und an beruflicher Weiterbildung teilnehmen. Sie haben ihre Daten per ISEE offenzulegen, um verkreuzte Kontrollen der Sozialämter bzw. Arbeitsämter zu ermöglichen. Höchstens drei Arbeitsangebote dürfen Bezieher dieses Grundeinkommens ablehnen, dann ist Schluss. Mehr will und kann sich wohl Italien zurzeit nicht leisten.
Obwohl unter sozialem Gesichtspunkt durchaus gerechtfertigt – 2015 gab es in Italien 4,6 Millionen absolut Arme, jetzt noch mehr – und obwohl die Verwaltung dieser Leistung sicher nicht einfach zu bewältigen sein wird, hat das vom M5S durchgesetzte Mindesteinkommen einen systemischen Mangel: es entspricht nicht einem echten Bürgergeld. Während das bedingungslose Grundeinkommen die utopische Erwartung bedient, lebenslang vom Staat eine Grundrente ohne Gegenleistung zu erhalten, hält das Bürgergeld an der Gegenseitigkeit der Leistungen fest: für eine steuerfinanzierte gesellschaftliche Leistung (das Bürgergeld) wird eine Gegenleistung erwartet (die Bürgerarbeit), also eine selbst gewählte Arbeit als Dienst an der Gesellschaft, man könnte es auch Zivildienst nennen. Im Unterschied zu den beim „reddito di cittadinanza“ verlangten 8 Wochenstunden Arbeit, müssten es schon 30-35 Stunden sein bei einem höheren Betrag der Sozialleistung. Die Rahmenbedingungen in den Arbeitsmärkten des Südens sind nämlich zu schlecht, um vielen Arbeitslosen rasch zu einer regulären Beschäftigung zu verhelfen. Dann wird das neue Mindesteinkommen für viele Jahre zum Grundeinkommen in Kombination mit Schwarzarbeit.
Gerade für viele junge Arbeitsuchende kann das Bürgergeld sowohl Anreiz wie Berufsvorbereitung sein. Jede gemeinnützige Organisation, aber auch öffentliche Körperschaften könnten solche Jobs anbieten. Je nach Neigung und Qualifikation könnten Jugendliche auswählen. Der Staat würde das Bürgergeld als Gehalt zahlen und die Versicherungsbeiträge überweisen. Es gibt in Italien gerade im sozialen Bereich und im Umweltschutz gewaltig viel zu tun. Die Gesellschaft würde ein solches Bürgergeld wesentlich besser aufnehmen als einen bloßen Zuschuss ohne nennenswerte Gegenleistung. Schlussendlich würden alle davon profitieren: die Bezieher des Bürgergeld, die sinnvolle Arbeit für die Gemeinschaft leisten und dabei auch etwas lernen; die gemeinnützigen Unternehmen und öffentlichen Körperschaften, die sich Arbeitskosten sparen, und die Gesellschaft, die an Lebensqualität dazugewinnt.

SALTO, 30.11.2018


Europäische Bürgerinitiative

Europa steckt in einer Wohnungskrise

Alle Menschen haben ein Anrecht auf eine angemessene Wohnung, das ist schon im Art. 25 der Allg. Erklärung der Menschenrechte der UN von 1948 verankert und muss durch entsprechende politische Maßnahmen gewährleistet werden. Doch Wohnen ist in vielen Städten und Regionen Europas zu teuer. Immer mehr Menschen in Europa können sich das Wohnen nicht mehr leisten.

In der EU geben rund 82 Mio. Menschen mehr als 40 Prozent des Einkommens fürs Wohnen aus – unzumutbar! Die Wartelisten für geförderte, soziale Wohnungen werden immer länger und länger. In fast allen Mitgliedsstaaten in Europa steigt die Zahl der obdachlosen Menschen. Viele Menschen werden aufgrund der hohen Wohnkosten gezwungen, die Stadt zu verlassen und pendeln dann jeden Tag über lange Strecken in die Stadt zur Arbeit oder zum Studium.
Wohnen ist ein Menschenrecht und keine Handelsware. Die Boden- und Immobilienpreise explodieren in den wachsenden Städten. Globale Investoren (Pensionsfonds, Hedge-Fonds etc.) kaufen ganze Stadtteile auf, weil sie auf hohe Renditen setzen. Da geht es nicht mehr ums Wohnen, sondern um Spekulation. In bezahlbares Wohnen mit sozialer Bindung wird dagegen seit der Wirtschaftskrise viel zu wenig investiert. Die Investitionslücke beträgt in der EU pro Jahr rund 57 Milliarden Euro. Durch die finanzpolitischen Vorgaben der EU und durch das EU-Beihilfenrecht werden die Städte und Kommunen in ihrem Bestreben, sozialen und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, viel zu stark eingeschränkt.
Dazu kommt jetzt auch noch die AirBnB-Welle. Kurzzeitvermietung an Touristen über digitale Plattformen verknappt den Wohnraum für die einheimische Bevölkerung, während in vielen Städten sich immer mehr „Touristenghettos“ herausbilden.
Dieses wichtige Anliegen hat die Europäische Bürgerinitiative „Housing for all“ aufgegriffen. Sie will bessere rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen, um Wohnen für alle Menschen in Europa zu ermöglichen. Die EU wird zum Handeln aufgefordert, um Wohnen in Europa für alle zu ermöglichen. Dies umfasst:
• die Erleichterung des Zugangs für alle zu leistbarem und sozialem Wohnbau,
• keine Anwendung der Maastricht-Kriterien auf öffentliche Investitionen in leistbaren Wohnbau, besserer Zugang zu EU-Finanzmitteln für gemeinnützige und nachhaltige Wohnbauträger,
• soziale und wettbewerbsgerechte Regeln für Kurzzeitvermietungen sowie die statistische Erfassung des Wohnbedarfs in Europa.

Deshalb sollte in der Wohnungspolitik der Grundwohnbedarf der Familien im Vordergrund stehen, auch in Südtirol. Dieser kann in der öffentlichen Wohnbauförderung verstärkt werden, indem die Sozialbindung der geförderten Wohnungen strenger und längerfristig festgeschrieben würde. So würde eine Sozialbindung „auf ewig“ die geförderten Wohnungen trennscharf von jenem unterscheiden, die für den freien Markt bestimmt sind. Dies hätte wieder den Effekt, dass das Preisniveau absinken würde. Um leerstehende Wohnungen wieder auf den Mietenmarkt zu bringen, kann eine öffentliche Einrichtung geschaffen werden, die zwischen Vermietern und Mietern vermittelt, Sicherheiten bietet und für reibungslose Vermietung sorgen.

Über die Website der EBI „Housing for all“ kann diese EBI sofort unterzeichnet werden (dauert etwa 2 Minuten). Wenn diese Europäische Bürgerinitiative eine Million Unterschriften in mindestens 7 Mitgliedsländern erreicht, müssen die Promotoren im Europäischen Parlament angehört werden und die EU-Kommission ist verpflichtet, eine begründete Antwort zu liefern und Maßnahmen einzuleiten.
SALTO, 15.4.2019


Human Economy

Zwei politische Welten

Mit viel Engagement betreibt Human Economy seinen Einsatz für eine Reform des Geldsystems. Der Verein hat sich mit einem offenen Brief an LH Kompatscher gewandt, doch mehr als höfliche Formalitäten sind kaum zu erwarten, bewegen sich diese beiden Akteure doch in zwei verschiedenen Welten, auf verschiedenen Ebenen, die Realpolitik und die „Idealpolitik“ sozusagen. Human Economy’s Vorstoß wirft die Frage auf, wie in Südtirol überhaupt Politik von unten gemacht werden kann.
Vergebens hat Human Economy für seinen Kongress am 29.11.2015 in der EURAC zum Thema „Die Geld(un)ordnung und die Lösung der Krise“ um die Schirmherrschaft Kompatschers angesucht. Dabei ist ihr Anliegen nicht privat, sondern höchst politisch, nämlich nichts Geringeres als ein gerechteres und krisensicheres Geldsystem. Für die offizielle Politik, die sich noch bei jedem Unternehmerverband blicken lässt, doch weit entfernt. Dabei konnte Human Economy bei ihrem Kongress in der EURAC fast 300 Gäste begrüßen. Der Verein setzt freilich hoch an: man will das verzinste Schuldgeldsystem abschaffen und stellt das heutige Bankensystem mit seiner „Geldschöpfung aus dem Nichts“ radikal in Frage. Kurz: man will diesem „systemischen Betrugssystem“ ein Ende setzen. Hier einige Ergebnisse. Früher ist man bei solchen Ansätzen als Revoluzzer abgetan worden, heute als Träumer.
Human Economy will es nicht bei der Kritik belassen, sondern demnächst auch konkrete Schritte setzen, nämlich eine regionale Parallelwährung aufbauen mit einer Genossenschaft als Trägerorganisation. Andererseits bewegt sich Human Economy auch nicht „herunter“ auf die Ebene der Realpolitik: sie schweigt zu den Vorgängen in der Sparkasse, die von C. Franceschini in BANKOMAT aufgedeckt worden sind und auch auf systemische Fehler im Bankensystem zurückzuführen sind; sie schweigt zu den Bankenpleiten in Italien, die mit Staatsgeldern saniert werden, aber Kleinsparer hängen lässt.
Die traditionelle Politik, die Logik der Parteien und mächtigen Verbände und Medien, haben für solch radikal vorgetragene Anliegen kein Ohr. Das gängige Killer-Argument lautet: „Utopische Ideen“ sowie „Dafür sind wir in Südtirol nicht zuständig“. Zwar setzt Human Economy tatsächlich bei einem Angelpunkt des Kapitalismus an, der zins- und profitgesteuerten Kapitalakkumulation, mit den Börsen und Banken als zentralen Plattformen des aus dem Ruder laufenden internationalen Finanzmarkts. Ganz systemsprengend ist der Ansatz wieder nicht, denn regionale Parallelwährungen gibt es auf der Welt an die 600 und der Weg zum Vollgeld wird derzeit vom isländischen Staat betrieben und ist in der Schweiz Gegenstand einer Volksinitiative.
Human Economy sei sich vollkommen bewusst, „dass sich viele Politiker bei diesem Thema ebenso überfordert fühlen wie der überwiegende Anteil der Bevölkerung. Zu dieser Überforderung gesellt sich die Ansicht, hier handle es sich um Problem, welches (auch rechtlich) allein auf staatlicher oder sogar internationaler Ebene gelöst werden könne, da die Landespolitik nicht über die erforderlichen Kompetenzen verfüge und daher keinerlei Handlungsspielraum habe.“ (Offener Brief an den LH). Dem sei aber nicht so, meint Human Economy, und propagiert mit hohem Aufwand (Vorträge, Pressekonferenzen, Workshops und Kongress) eine Komplementärwährung für Südtirol, die „enorme Vorteile für die Bevölkerung, die öffentlichen Institutionen und die Wirtschaft zu schaffen könnte“. Wenn dem so wäre, könnte Human Economy eine Volksinitiative nach geltendem Direkte-Demokratie-Gesetz Nr.11/2005 starten, 13.000 Unterschriften müssten zu schaffen sein. Dieses Verfahren hat bekanntlich einige Haken, aber es gibt es, was man auch unter alternativökonomischen Kreisen vergessen zu haben scheint.
Andernfalls kommt man nicht darum herum, geduldiges Lobbying zu betreiben und die Gummiwände der Südtiroler Parteien- und Verbändegesellschaft zu bearbeiten. Für die Banken, die an einer Komplementärwährung nichts verdienen, ist der Vorschlag uninteressant, was sich bei einem konkreten Anlauf im Vinschgau schon gezeigt hat. Auch die meisten etablierten Medien haben die Initiativen von Human Economy trotz großer Publikumsbeteiligung ignoriert, zu einer ernsthaften öffentlichen Debatte über diese wichtige Themen ist es nicht gekommen. In dieser Hinsicht sind wir politisch gesehen eben „Provinz“.

SALTO, 15.1.2016


Neue Kampagne

Stoppt die Steuertricks der Konzerne

Apple verschiebt Milliardengewinne nach Irland und zahlt einen Steuersatz von 0,3 Prozent. Facebook kommt in Großbritannien auf lächerliche 5.150 Euro Steuern. Vodafone bleibt bei einem Verkaufserlös von 100 Milliarden Euro in Europa steuerfrei. Multinationale Konzerne nutzen jeden Trick, um sich vor Steuerzahlungen von bis zu 70 Milliarden Euro jährlich zu drücken. Geld, das dringend benötigt wird. Für Schulen, die vielerorts vergammeln, für Pflegesysteme, die alten Menschen gerecht werden oder für eine qualifizierte Kinderbetreuung.

Die EU-Kommission hat jetzt einen konkreten Vorschlag gemacht, der Schlupflöcher für Steuervermeider schließen würde: Mit einer europaweiten Gesamtkonzernsteuer kann verhindert werden, dass Unternehmen ihre Gewinne auf Tochtergesellschaften verschieben und damit gewaltige Steuerrabatte einfahren. Europäische Steueroasen wie Irland, Luxemburg und die Niederlande sperren sich gegen den Vorschlag. Länder wie Deutschland, Frankreich oder Spanien halten sich bislang bedeckt. Dabei hat Bundesfinanzminister Schäuble, genauso wie sein französischer Kollege Sapin, immer wieder beteuert, Steuertricks abschaffen zu wollen. Jetzt müssen die EU-Finanzminister Farbe bekennen und den Kommissionsvorschlag öffentlich zu unterstützen.

WeMove hat eine Kampagne für diesen Zweck gestartet. Sobald 100.000 Unterschriften gesammelt sind, werden sie den Finanzministern zeitgleich in Berlin, Paris und weiteren europäischen Hauptstädten übergeben. Zentrale Forderung an die Minister: Sorgen Sie für gerechte Konzernsteuern!
Die Kampagne hat gute Chancen auf Erfolg:
• Jean-Claude Juncker, Präsident der EU-Kommission, ist persönlich in der Pflicht. Als Premierminister Luxemburgs hat er hunderten von Unternehmen umfangreiche Steuerdeals ermöglicht. Nachdem das aufflog, gelobte er, einheitliche Regelungen zu schaffen und Gewinnverschiebungen zu unterbinden.
• Nach der Brexit-Entscheidung muss die EU Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürgern zurückgewinnen und zeigen, dass sie handlungsfähig ist. Eine gerechtere Steuerpolitik wäre ein guter Anfang.
• Erste Ansätze gibt es bereits: Im August verhängte die EU-Kommission eine Rekordstrafe von 13 Milliarden Euro gegen den iPhone-Konzern Apple, der sein Europageschäft in Irland bündelt und so angemessene Steuern vermeidet.
Mit der vorgeschlagenen neuen europaweiten Gesamtkonzernsteuer geht die Kommission nun noch einen konsequenten Schritt weiter. Die Kampagne fordert von den Finanzministern, dass sie den Vorschlag vorbehaltlos unterstützen und Steueroasen die rote Karte zeigen.

So wichtig dieser Schritt für einheitlichen Steuern ist, finden sich im Kommissionsvorschlag auch fragwürdige Zugeständnisse. So soll das für die Unternehmen kostenlose Eigenkapital wie ein Darlehen behandelt werden. Die Folge: Unternehmen dürften Zinskosten von der Steuer absetzen, die sie nie gezahlt haben. Es braucht einheitliche Steuern für alle in der EU tätigen Konzerne, ohne neue Schlupflöcher.

Hier kann man die Kampagne „Stoppt die Steuertricks der Konzerne“ mit einem Appell an die Finanzminister der EU für eine gerechtere Steuerpolitik und für die Schließung der Schlupflöcher der Konzerne unterstützen.

SALTO, 18.11.2016



Vorschlag für „Bedingtes Mindesteinkommen“

M5S will Mindesteinkommen mit Parallelwährung

„Reddito di cittadinanza locale“ nennt der Trentiner M5S seine neue Idee, mit der bedürftigen Bürgern und gleichzeitig den Trentiner Unternehmen geholfen werden soll.

Das am 4. Juli in Trient vorgestellte Projekt (Landes-Gesetzentwurf) ist allerdings kein bedingungsloses Grundeinkommen, soviel vorweg. Vielmehr geht es um ein erweitertes Konzept von Mindestsicherung. Armut trifft auch in Trentino immer mehr Menschen, Arbeitslosigkeit nimmt zu, immer mehr Unternehmen geraten in Krise. Die Gegenmaßnahmen der Provinz Trient, so K.Abg. Riccardo Fraccaro bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs, seien unzureichende Palliativeingriffe.
Zielgruppen dieser neuen Mindestsicherung seien die Familien mit mindestens 5 Jahren Ansässigkeit im Trentino mit einem Icef von höchstens 0,15 Punkten (Indicatore della condizione economica familiare, entspricht unserer EEWE). Die Anspruchsberechtigten erhalten als Einzelpersonen einen Landesbeitrag von 625 Euro monatlich, als Familie mit einem Kind 1.333 Euro. Es gehe nicht um eine Fürsorgemaßnahme, so Fraccaro, weil mit dem Beitrag eine Reihe von Verpflichtungen verbunden seien: die Bezieher müssten aktiv Arbeit suchen, sozial nützliche Tätigkeiten übernehmen oder berufliche Weiterbildung betreiben. Lehnt ein Bezieher dieses Landesbeitrags zweimal ein zumutbares Arbeitsangebot ab, würde der Beitrag sofort gestrichen. Also weit weg von der Bedingungslosigkeit.
Die eigentliche Innovation bringt der M5S mit der Verbindung dieses Beitrags mit einer neu einzuführenden Parallelwährung, den „trentini“. Damit soll das Geld im Land bleiben und der regionale Wirtschaftskreislauf gestärkt werden. Der neue Landesbeitrag zur Mindestsicherung soll nämlich nicht in Euro ausbezahlt werden, sondern den Beziehern auf einem eigenen Konto in „trentini“ gutgeschrieben werden. Die „trentini“ sind ein ausschließlich elektronisches Geld, das auch die Gesundheitskarte geladen wird und wie mit dem Bancomat für alle möglichen Zahlungen verwendet werden kann. Das hätte zudem den Vorteil der Nachvollziehbarkeit der Zahlungsvorgänge: die Bezieher dürften es nicht für abträgliche Konsumarten vom Spielcasino bis zum Superalkohol verwenden. Die Unternehmen können die „trentini“ für ihre Zwecke als Tauschmittel verwenden, doch nur dann für die Zahlung von Steuern, wenn sie ihren Rechtssitz im Trentino haben. Und gerade mit diesem Kunstgriff schafft der M5S die Verbindung zur Stärkung der lokalen Wirtschaft. Die „trentini“ zirkulieren als Parallelwährung notwendigerweise fast nur im Trentino. Jedes beliebige Unternehmen kann zwar „trentini“ annehmen und weiterverwenden, von Vorteil wären sie wohl nur für Unternehmen mit Sitz und Tätigkeitsgebiet im Trentino.
Im Trentino sollen nach Berechnung des M5S 16.400 Familien mit sehr geringem Einkommen in den Genuss dieser Maßnahme kommen, was die Provinz Trient nicht mehr als 89 Mio. Euro kosten würde. Heute beziehen nur 2.317 Familien für höchstens acht Monate das Mindesteinkommen, während 7.500 weitere Armutsbetroffene ausgeschlossen bleiben. Diese Landesausgaben kämen allerdings auf der anderen Seite wieder herein. Weil nämlich durch die Beihilfe 87 Mio. Euro an zusätzlichem Umsatz für Trentiner Unternehmen geschaffen würden, stiege das BIP des Trentino um 0,47% und damit auch die Steuereinnahmen des Landes.
Dieses Projekt für ein Mindesteinkommen in Parallelwährung versteht Fraccaro als soziale Maßnahme, die die regionale Wirtschaft stärke und damit allen zugutekäme: mehr lokale Konsumausgaben, Wachstum, Arbeitsplätze, Steuereinnahmen. Offen bleibt allerdings die große Frage, ob eine solche provinziale Parallelwährung im Rahmen der italienischen und europäischen Geldordnung überhaupt zulässig ist und nicht gegen EU-Wettbewerbsrecht verstößt. Spätestens wenn eine Währung auch als gesetzliches Zahlungsmittel verwendet wird – das tut es, wenn damit Steuern bezahlt werden - und nicht mehr nur Gutscheine für einen lokalen Kreis von Nutzern bildet, könnte ein Konkurrenzverhältnis mit dem Euro aufbrechen. Der M5S will jetzt Unterschriften für diesen Vorschlag sammeln und ihn auch als Petition einbringen (petizione).
SALTO, 7.7.2016

Riforma del sistema monetario

Referendum sulla moneta intera in Svizzera

“Chi deve creare i nostri franchi? Le banche private o la banca nazionale?” È questo il quesito referendario sul quale i cittadini svizzeri potranno votare in un referendum nazionale nei primi mesi del 2018.

Questa iniziativa popolare (referendum propositivo), presentata il 1° dicembre 2015, è riuscita a raccogliere le centomila firme di sostegno necessarie da parte dei cittadini svizzeri nel 2016 e, quindi, è stata dichiarata ammissibile per la votazione popolare. L’iniziativa punta sull’introduzione immediata del sistema di moneta intera con i seguenti tre obiettivi specifici:
1. In futuro sarà unicamente la Banca Nazionale Svizzera (BNS) a creare moneta bancaria elettronica come valuta a corso legale.
2. Le banche non possono più creare denaro dal nulla ma possono prestare unicamente il denaro messo a disposizione dai risparmiatori, da altre banche o dalla BNS.
3. Il nuovo denaro viene di regola messo in circolazione tramite pagamenti esenti da debito da parte della BNS alla Confederazione, ai Cantoni o ai cittadini.
L’emissione di franchi svizzeri in ogni forma (monete metalliche, banconote, denaro elettronico) sarà affidato esclusivamente alla BNS, mentre le banche commerciali presenti in Svizzera potranno finanziarsi prendendoli in prestito dalla Banca centrale BNS. L’iniziativa moneta intera, portata avanti dall’associazione “Monetäre Modernisierung” (modernizzazione monetaria) intende impedire che le banche possano abusare del loro potere per erogare crediti che portano all’incremento della massa monetaria senza un corrispondente incremento del reddito nazionale, scrive il prof. Sergio Rossi (Università di Friburgo) sul sito dell’iniziativa www.vollgeld.ch.
L’iniziativa svizzera ha scardinato per la prima volta in assoluto un dibattito pubblico su una delle cause principali della crisi del sistema finanziario a livello nazionale e soprattutto internazionale. Se quest’iniziativa popolare fosse accolta dai cittadini svizzeri nel 2018, in Svizzera anche l’emissione di denaro scritturale (elettronico) passerebbe alla BNS. Questo ente pubblico e indipendente sarebbe quindi l’unico incaricato a creare moneta in maniera mirata, coordinata e legata agli orientamenti approvati dagli organi democratici.
Il Governo svizzero (consiglio federale), con delibera del 9 novembre 2016, ha bocciato l’iniziativa sulla moneta intera senza indicare una proposta alternativa. Il governo è dell’avviso che questa riforma inciderebbe profondamente sull’ordinamento monetario vigente in Svizzera che andrebbe trasformandosi in un campo di sperimentazione per un sistema completamente sconosciuto sul piano mondiale. La sua accettazione complicherebbe la politica monetaria della BNS e comporterebbe nuovi rischi per l’economia svizzera. Oltre il NO scontato del mondo delle banche svizzere, anche l’Assoimprenditori svizzera (Economiesuisse) ha messo in guardia con toni drammatici dall’iniziativa popolare sulla moneta intera, paventando persino il rischio del crollo del franco svizzero. Il Parlamento svizzero, a partire dal comunicato ufficiale del governo, si occuperà invece dell’iniziativa popolare sulla moneta intera nel corso del 2017. I comunicati ufficiali, le reazioni e le critiche dei promotori possono essere scaricate dal sito dell’iniziativa.
Mentre in tutto il paese si dipana il dibattito pubblico sull’argomento, finalmente il mondo accademico, il mondo dell’economia e quello politico, grazie ai formidabili strumenti di democrazia diretta presenti in Svizzera da quasi 150 anni, sono costretti a confrontarsi seriamente col concetto della moneta intera e di tutti i suoi effetti prodotti nell’economia e della società. Per approfondire l’argomento: www.vollgeld.ch (anche in italiano).
SALTO, 7.9.2017


Kaufhaus-Volksbefragung

Die Pendler und Benko

In einem Monat dürfen auch die Berufspendler mit Arbeitsplatz in Bozen bei der Volksbefragung zum Benko-Kaufhausprojekt mitstimmen. Ihr Votum könnte gar entscheidend sein, denn Kommissar Penta will das Ergebnis als bindend werten.

Lehnt die Bozner Bevölkerung das Projekt wegen der Beeinträchtigung der Lebensqualität erwartungsgemäß ab, könnten die Pendler diesbezüglich weniger Bedenken haben und den Ausschlag geben.
Sollten sie aber, denn das Kaufhaus wird unvermeidlicherweise den Individualverkehr rund um dieses Areal ansteigen lassen, vor allem am neuralgischen Viereck Loreto-Brücke, Mayr-Nusser-Str., Verdiplatz und Garibaldistraße, wo heute schon Besucher- und Pendlerströme zusammentreffen und sich regelmäßig stauen. Tausende neue Parkplätze unter dem neuen Kaufhaus üben eine Sogwirkung aus, die die heute 17.500 täglich durch die Garibaldistraße rollenden Fahrzeuge an Zahl mit Sicherheit nicht vermindern wird.
Auch die Verlegung des Busbahnhofs vom heutigen Standort 500 Meter weiter östlich wird vor allem die Pendler aus den östlichen Landesteilen (Ritten, Eisacktal, Hochplateau, Eggental usw.) benachteiligen, haben sie doch einen weiteren Fußweg ins Zentrum zurückzulegen. Besucher der Bozner Altstadt, die mit dem Bus an- und abreisen, werden es schwerer haben, weil die SAD-Busse sich bis zum Verdi- und Dominikanerplatz durch mehr Verkehr mit mehr Haltestellen durchkämpfen müssen. Insgesamt verschlechtert sich die Verkehrslage, steigen die Emissionen, worunter auch Fußgänger und Radfahrer zu leiden haben. Die Potenzierung der Verkaufsfläche in der Innenstadt bringt den Pendlern in Summe auch Nachteile, denn hier werden nur Geschäfte und Arbeitsplätze umgruppiert. Kleinere Geschäfte in der Umgebung, also den Wohnorten der Pendler, und in anderen Stadtteilen schließen, denn die Kaufkraft wird durch ein neues Großkaufhaus abgezogen.
Abgesehen von der plebiszitären Vorgangsweise des Kommissars bei der Anberaumung dieser Befragung, könnte man durchaus nachfragen, warum er den Pendlern die Mitentscheidung an diesem Großprojekt erleichtern will. Ansonsten muss in Italien bei Volksabstimmungen – und Penta will das Ergebnis bekanntlich als bindend betrachten als wäre es eine echte Volksabstimmung – jede Unterschrift amtlich penibel beglaubigt werden. Hier hingegen ist man plötzlich großzügig. Es kann sich nämlich jedermensch als Pender oder Pendlerin registrieren lassen. Es genügt die Kopie des Ausweises und die Behauptung, einen Arbeitsplatz in Bozen zu haben: schon ist man abstimmungsberechtigt.
SALTO, 22.2.2016


Disuguaglianza del reddito

Un salario minimo per la nostra provincia

A ragione l’IPL chiede maggior equità fiscale (vedi IPL-zoom 5/2017), ma la disuguaglianza dei redditi dichiarati che emerge dalle dichiarazioni IRPEF – scontato il fattore da tanto tempo non più rilevato a livello locale dell’evasione fiscale – deriva dalla disuguaglianza dei redditi effettivamente percepiti. Come emerge anche dai dati sull’IRPEF, elaborati dall’AFI-IPL, sono i lavoratori dipendenti e i pensionati a pagare proporzionalmente più imposte sul reddito rispetto il reddito in media percepito.
Negli ultimi decenni l'economia altoatesina è cresciuta più rapidamente rispetto a quella delle altre regioni italiane. Lo stesso vale per il costo della vita. I salari, al contrario, dal 2009 non sono cresciuti, anzi: i 28.262 euro lordi percepiti dai lavoratori dipendenti in media nel 2009 fino al 2014 si sono ridotti del 2,8% (ASTAT 2016). Considerando anche il drenaggio fiscale, i redditi da lavoro dipendenti sono ancora penalizzati come dimostrano le analisi dell’AFI-IPL e dell’ASTAT (Distribuzione dei redditi e del patrimonio 2014). Un quinto dei dipendenti del settore privato percepisce salari molto bassi. I meccanismi di redistribuzione del reddito non riescono a compensare la crescente disuguaglianza sociale. Nel 2013 la percentuale di persone a rischio di povertà aveva raggiunto il 19%. Aumenta la forbice fra ricchi e poveri: il Sudtirolo diventa più ricco, ma la ricchezza è distribuita in modo sempre meno equo. Dove potrebbe intervenire lo Statuto di autonomia per correggere questi squilibri?
Un salario minimo previsto per legge e decretato dal governo, come è il caso nella maggior parte dei paesi europei, non sarebbe sbagliato per tutta l’Italia. Nel 2015 la Germania ha introdotto un salario minimo di 8,50 euro netti all'ora, che i sindacati e partiti di sinistra chiedono di portare a 10 euro. L’Italia, al contrario, è uno dei pochi paesi che non prevede una regola analoga. La definizione del salario minimo viene demandata alla contrattazione collettiva dei vari settori, mentre la Provincia autonoma oggi non può intervenire nella contrattazione per garantire contratti collettivi che tengano conto di questa necessità.
Naturalmente in Alto Adige vengono conclusi contratti che prevedono miglioramenti di vario tipo, ma in molti settori importanti non vengono stipulati contratti integrativi. In un’economia come la nostra, ricca di piccole aziende, questi accordi territoriali sarebbero decisivi per adeguare i salari alla crescita della produttività e al costo della vita. I sindacati provinciali purtroppo non sembrano in grado di imporli.
Questo problema potrebbe essere risolto con un salario minimo fissato dalla Provincia. Questa potrebbe ottenere la competenza legislativa per introdurre salari minimi specifici per i singoli settori. Questi dovrebbero comunque essere superiori a quelli minimi previsti dalla contrattazione nazionale. Di conseguenza sarebbero superiori anche i salari fissati da eventuali contratti integrativi. ll sistema di contrattazione collettiva verrebbe così stabilizzato. Questo tutelerebbe molti lavoratori con salari bassi, presenti nel settore alberghiero, nel commercio e in altri servizi privati. Il Sudtirolo, indipendente dal regolamento nazionale, potrebbe seguire un proprio percorso di equità sociale, come peraltro fa già per l’apprendistato. Naturalmente tutto questo, proposto anche in una recente pubblicazione di POLITiS (La nostra autonomia oggi e domani 2017) andrebbe inserito nello Statuto come una nuova facoltà legislativa autonoma. Purtroppo la Convenzione sull’autonomia non ha ripreso questa idea. (SALTO, 11.7.2017)



Monte dei Paschi und die Folgen

Vollgeldsystem als Alternative?

Die Bank Monte dei Paschi di Siena wird nach dem Willen der Regierung mit 6,6 Mrd. Euro frischem Kapital aus dem Staatshaushalt vor der Pleite gerettet. Weil MPS nicht die einzige der notleidenden Banken Italiens ist, darf Italien bis zu 20 Mrd. Euro bereitstellen, um angeschlagene Banken zu retten. Auch dieser 20-Mrd.-Rettungsfonds wird kaum reichen, denn Italiens Banken haben rund 360 Mrd. Euro an faulen Krediten in den Büchern, wovon rund 200 Mrd. Euro jetzt schon als verloren gelten. Obwohl die neuen Regeln der EU-Bankenunion es eigentlich verbieten, wird der italienische Staat Ausnahmeklauseln nutzen, um damit auch zehntausende Kleinanleger zu schützen.
Eigentlich sollte die neue EU-Bankenregelung die Bankenhaftung stärker am Grundsatz ausrichten „Wer den Nutzen hat, muss auch für den Schaden aufkommen.“ Davon wurde das seit einem Jahr rechtlich geltende Prinzip des Bail-in abgeleitet, gemäß welchem sich die Banken selbst sanieren müssen. Zunächst müssen bei einer Bankenpleite die Eigentümer (Aktionäre) herhalten, dann die Obligationäre und schließlich die Kunden und Sparer. Mit der staatlichen Rettung der MPS fällt Italien in die alten Praktiken zurück. Mit Steuergeld und höherer Neuverschuldung werden Privatbanken aus dem Sumpf gezogen, in die sie eine private Clique hineingeritten haben. Die Gewinne bleiben privat, die Verluste auf die Steuerzahler verteilt. So hält man Banken auch weiter krisenanfällig, denn Staatshilfen verleiten die hochbezahlten Banker immer dazu, zu hohe Risiken einzugehen, Eigenkapital zu knapp zu bemessen und die Aktionäre zuerst zu bedienen.
Genau das ist bei MPS geschehen. Heute betragen die notleidenden Kredite dieser Bank 249% ihres Eigenkapitals. Bei der Kreditvergabe war man viel zu lax, verspekulierte sich mit Derivaten, Übernahme sich mit der Übernahme andere Banken, zahlte Aktionären noch in der Krise zu hohe Dividenden statt Rücklagen zu bilden. Am Ende müssen dann doch wieder der Staat und die Steuerzahler für diese Fehler von Managern und des Systems aufkommen. Das hat bei zwei kleineren mittelitalienischen Banken 2016 begonnen, wird mit MPS potenziert und weitere Krisenbanken werden folgen.
Nicht nur die Einhaltung der Regeln der EU-Bankenunion nach Maßgabe des Bail-in-Prinzips wäre zu fordern, das italienische Bankensystem selbst ist reformbedürftig: eine strengere Bankenaufsicht, höhere Mindestreserven, Trennbankensystem wären nur erste Schritte. Eine radikalere, aber wesentlich wirksamere Alternative wäre die Einführung des Vollgeldsystems.
Sehr verkürzt gesagt bedeutet Vollgeld, dass die heute bestehende Praxis der Geschäftsbanken nahezu beliebig (elektronische) Buchgeld zu erzeugen, abgeschafft würde und nur mehr Zentralbankgeld als gesetzliches Zahlungsmittel existiert. Elektronisches Vollgeld misst eine Forderung gegen die Zentralbank, dieses in Bargeld einzutauschen. Durch die Vollgeldreform würde die Zentralbank zur alleinigen Ausgabeinstanz von Geld, also nicht nur von Bargeld in Form von Münzen und Noten, sondern auch von Buchgeld. Alles zirkulierende Geld würde dadurch zum gesetzlichen Zahlungsmittel. Heute dagegen wird Buch- oder Giralgeld von Geschäftsbanken geschöpft und ist kein gesetzliches Zahlungsmittel. Dieses von den Banken großteils aus dem Nichts geschaffenen Geld macht aber 84% der Geldmenge aus, das Bargeld nur 16%. Hier eine kurze Erläuterung der Vorteile des Vollgeldsystems von Christian Felber.
Bei einem Vollgeldsystem hätte MPS nie dieses gewaltige Volumen an faulen Krediten aufhäufen können, die jetzt zum Großteil abgeschrieben werden müssen. Sie hätte nie ihre gewaltigen Bankenaufkäufe tätigen und mit selbst geschaffenen Krediten (Interbankenkrediten) begleichen können. Banken könnten nur mehr Geld verleihen, das zu 100% gedeckt ist, das sie zuerst als Sparanlagen oder in andere Form eingenommen haben: „Die Kreditvergabe durch Banken würde so funktionieren, wie sich das heute die meisten Menschen vorstellen: erst muss Geld zur Bank gebracht werden, erst dann wäre Kreditvergabe überhaupt möglich. Auch die heutige Mindestreserve – immer noch lächerlich gering – würde entfallen, weil alles Geld Zentralbankgeld wäre.
Das Vollgeldsystem ist nicht so utopisch wie es zunächst klingt. In der Schweiz sind 2016 die nötigen 100.000 Unterschriften für eine Volksinitiative zur Einführung des Vollgeldsystems gesammelt worden und schon 2017 könnte es zur Volksabstimmung kommen. In Island hat die Regierung Studien zum Vollgeld in Auftrag gegeben und erwägt die Einführung dieses Systems. Auch der IWF befasst sich ernsthaft mit dieser Reform. Das Vollgeldsystem würde die Allgemeinheit definitiv davor bewahren, mit Milliarden Euro an Steuergelder für die Rettung privater Banken aufkommen zu müssen.
SALTO, 6.1.2017


Irresponsabile

Un „ius migrandi“?

Lo ius migrandi è un diritto acquisito dei cittadini comunitari, ma la Ue ha faticato parecchio ad applicarlo a tutti i nuovi paesi membri e poi anche per gli immigrati extracomunitari all’interno della Ue. Tant’è vero che una delle cause principali per la scelta pro-Brexit degli inglesi fu proprio l’immigrazione dal resto dell’Ue. Ora questo ipotetico diritto viene rivendicato per tutti gli individui per il mondo intero, cioè la libera circolazione di tutti dappertutto. Non si tratta di uno dei vari appelli ingenui tipo “porte aperte a tutti” in Europa, ma di una richiesta seria, formulata da nessun altro che Raniero La Valle, un politico, filosofo e giurista di primo ordine in Italia. In occasione del convegno del Centropace “In nome dell’umanità” del 25 novembre a Bolzano La Valle ha auspicato l’introduzione di tale ius migrandi nel diritto internazionale, che punta ad attribuire a chiunque al mondo un diritto soggettivo di immigrare dove gli pare.
Nutro forti dubbi che un tale ius migrandi potrebbe aiutare i paesi poveri, soprattutto quelli dell’Africa, dai quali i giovani emigrano a centinaia di migliaia. Rafforzerebbe il drenaggio del “capitale umano”, delle persone più istruite e più capaci verso i paesi industrializzati. Rafforzerebbe i regimi corrotti, perché tutti gli oppositori se ne andrebbero, succhierebbe da tanti paesi i giovani prosciugando le economie. È un’illusione credere che gli emigrati con le loro rimesse sollevino poi l’economia del loro paese, perché gran parte non riuscirebbe a trovare un lavoro decente e stabile in un mercato del lavoro europeo troppo affollato da troppi immigrati. Un ius migrandi non sarebbe sostenibile né per l’Africa né per l’Europa.
Lo stesso La Valle nel suo intervento a Bolzano ha citato proiezioni secondo cui potrebbero essere 50 milioni gli africani pronti a lasciare il loro paese se potessero viaggiare liberamente. Ciò equivale ad un afflusso annuale di migranti ben maggiore di quanti già stanno arrivando in Italia, ma anche di quanti arrivarono in Europa nell’anno speciale 2015. L’Italia già fatica molto ad accogliere i circa 200.000 migranti all’anno, che arrivano oggi, per non parlare della loro effettiva integrazione. Poi sono note le ripercussioni sociali e politiche che ha provocato il milione di nuovi arrivati in Germania del 2015. Alcuni paesi una volta molto aperti, come la Svezia, hanno cambiato rotta bruscamente, altri paesi dell’Est negano ogni responsabilità, e l’Ue stessa non riesce a darsi una nuova politica comune dell’immigrazione. Proporre uno ius migrandi in questa situazione sembra una provocazione.
Un ipotetico ius migrandi generalizzato fa a pugni con altri diritti fondamentali dei popoli e delle minoranze e sarebbe incompatibile con il diritto degli Stati di controllare il proprio territorio, mettendo a repentaglio non solo un’integrazione, ma anche la pace sociale. Anche tanti popoli senza Stato, pensiamo ai popoli indigeni fortemente legati al loro territorio, non hanno motivo di entusiasmarsi di un ius migrandi. Sarebbero esposti indifesi all’immigrazione che ben presto li trasformerebbe in una minoranza sul proprio territorio. La Valle nel suo intervento avrebbe potuto accennare ad un altro diritto fondamentale: quello di poter vivere nel rispetto dei diritti umani nella propria comunità. Se la comunità internazionale sapesse assumersi le sue responsabilità per l’attuazione dei principali diritti umani già codificati di tutti nei loro paesi, non servirebbe introdurre un nuovo ius migrandi, realizzabile in uno Stato mondiale, ma certamente non in un mondo diviso in 200 Stati. (SALTO, 29.11.2017)